Leitzkau. Weserrenaissance und Fake News nah der Elbe

Alte Elbe bei Pretzien
Nah ist’s auch schön
Leitzkau. Weserrenaissance und Fake News nah der Elbe
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Hallo! Hier sind die Reisefrequenzen mit einer Reise zum heutigen Ziel, dem Schloss der Münchhausens in Leitzkau. Südlich von Magdeburg im Jerichower Land in Sachsen-Anhalt gelegen, ganz in der Nähe der Elbe. Nah ist‘s auch schön.

Die Münchhausens, die sonst eher das heimatliche Plätschern der Weser als das der Elbe hörten, ziehen nach Leitzkau.
Vor 300 Jahren wurde Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen geboren. Er ist der bekannteste Vertreter einer Adelsfamilie, die aus der Gegend des Steinhuder Meeres bei Hannover stammt und zu einer der wohlhabendsten Familien ihrer Zeit avancierte. Ob er je in Leitzkau war ist umstritten, wenn dann als Kind oder Jugendlicher. Doch Wahrheiten aus seiner Biografie sind spärlich überliefert. Um den Erfolg der Familie zu gewährleisten, hatte das Erfinden von Lügengeschichten eine gewisse Tradition.

Leitzkau. Weserrenaissance und Fake News nah der Elbe
Blick aus dem Schloss in Leitzkau in die Ebene
  • Inhalt
    1. Die Familie von Münchhausen
    2. Unser Weg zum Schloss
    3. Das ehemalige Kloster in Leitzkau und der Umbau zum Schloss
    4. Der Bauherr Hilmar von Münchhausen – von der Weser an die Elbe
    5. Das Erbe der Münchhausens und der heutige Zustand
    6. Skandal im Schloss – die Puppe im Sarg
    7. Die Alte Elbe in der nahen Umgebung
    Tipps, Infos, Übernachten und Öffnungszeiten für Schloss Leitzkau
    Letzte Aktualisierung Text/Infos 02/2022

1. Die Familie von Münchhausen

Andere Familienmitglieder schrieben ihre eigenen Geschichten. Gerlach Adolph von Münchhausen, Minister Georg II. in Hannover ganz ohne Lügen, gründete die Universität in Göttingen. Emilie von Münchhausen hingegen, verheiratete von Werthern, brannte mit August Einsiedel durch. Mit diesem Skandal sorgte sie für Klatsch und Tratsch am Weimarer Hof und für despektierliche Äußerungen Goethes.
Hilmar von Münchhausen, der 200 Jahre vor dem Lügenbaron lebte, war einer der reichsten Männer des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation. Vorzugsweise sammelte er mit seinem Vermögen Immobilien und investierte in Neu- und Umbauten. Seine damalige Schloßsammlung liegt im heutigen Niedersachsen und im östlichen Zipfel Nordrhein-Westfalens. Mit einer verblüffenden Ausnahme. Das heutige Ziel liegt in Sachsen-Anhalt. Schloß Leitzkau. Bauherr war Hilmar von Münchhausen. 1512-1573 hat er gelebt. Weserrenaissance an der Elbe. 
Über der Ebene erhebt sich, weithin sichtbar wie ein Fixpunkt über den auf fruchtbaren Lössböden wogenden Getreidefeldern, das Schloß. Es ist ein imposanter Anblick. Ein Turm aus Hausteinen ragt als Zeigefinger auf und drei Renaissancegiebel versprechen mehr. Der blaue Himmel schwebt über der weißen Fassade, als beschütze er den alten Bau in dem weiten Land. Auf der sicheren Höhe über dem Urstromtal der Elbe, am Ende des Flämings, wurden hier einst die Truppen gesammelt, um in die Kriege weiter gen Osten, gegen die Slawen, zu ziehen. Die „Kampfgasse“ im Ort erinnert daran. Der Versammlungsplatz war der Anfang, der sicher erhabene Platz ideal für eine Burg. So sicher, daß die Bischöfe von Brandenburg im Mittelalter nach der Zerstörung ihrer eigenen Kirche für eine Weile hierher ins Exil flüchteten.

2. Unser Weg zum Schloss

Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben. Der Ort ist still, die Kopfsteinpflasterstraßen sind holprig. Wir verpassen das Hinweisschild zum Schloß und erreichen die Anlage von der Rückseite des ehemaligen Wirtschaftshofes. An der hinteren Schloßmauer sind die Bauten teils marode. Bröckelnde Einbauten ragen wie Skelette über die Steinmauer. Einige Gebäudeteile sind bewohnt, andere verfallen langsam. Riesige Mauern stehen ohne Dach, Rosen ranken an einer Steinwand. Vor uns zieht sich eine Sandsteinmauer quer durch den Wirtschaftshof, dahinter steht die große Schloßkirche und das helle Schloß. Doch hier geht es nicht weiter. Warnschilder stoppen neugierige Besucher, durch eine vergitterte Pforte erhaschen wir Blicke auf die Renaissancebauten im Innenhof. Über die Mauer hinweg ist die Schönheit der Anlage zu sehen. Gegenüber wachsen die Obstbäume.

Leitzkau. Weserrenaissance und Fake News nah der Elbe
Blick vom Wirtschaftshof

Also zurück zur Straße, an der Schloßmauer entlang, an einem Baugewerbehof und der KITA „Schloßgeister“ vorbei bis zum vorderen Eingang. Wie ein Dornröschenschloß, ein wenig verschlafen, steht der stolze Bau auf der Anhöhe,  eine Lindenallee zeigt die Richtung alter Wege. 

3. Das ehemalige Kloster in Leitzkau und der Umbau zum Schloss

Das Schloß ist das Eine. Die stattliche und ältere romanische ehemalige Klosterkirche das Andere. Sancta Maria in Monte, 1155 im Beisein Albrecht des Bären geweiht, war eine mächtige romanische Kirche der Prämonstratenser, die als Symbol für den neuen christlichen Glauben weithin sichtbar war. Auch wenn sie über die Jahrhunderte ihre kirchliche Bedeutung verloren hat und der Bau durch Umbauten der Münchhausens und vor allen Dingen durch Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg nur noch eine Hohlform ist, bleibt die großartige souveräne Architektur. Wir stehen in dem harmonischen Raum und sammeln die Augenblicke kontemplativer Ruhe.

Leitzkau. Weserrenaissance und Fake News nah der Elbe
Blick auf die ehemalige romanische Klosterkirche

Sancta Maria in Monte teilt das Schicksal vieler Klosterkirchen. Erst kam die Reformation, dann die Auflösung des Klosters. Vorher hatte noch Martin Luther persönlich dreimal mahnend nach Leitzkau geschrieben. 1517 an den Probst des Stiftes Georg Mascow, der ein Mitstreiter der Reformation war. Nach der Reformation wurden die Liegenschaften verkauft. Hilmar von Münchhausen griff zu. 70.000 Taler soll er bezahlt haben und ließ prompt mit dem Bau zweier neuer Schlossteile beginnen. Das „Althaus“ entstand auf dem alten Konventsflügel und das „Neuhaus“ ersetzte den anderen Klosterteil. Aus der alten Probstei wurde nach Umbau das Hobeckschlößchen, benannt nach dem von hier verwalteten Landbesitz. Die Klosterkirche sollte zur Schloßkirche werden und dafür ließen Hilmar und sein Sohn zum Hammer greifen. Seitenschiffe und Chor wurden abgerissen, das Querhaus wurde ein überdimensionaler Speicher, innen wurden die Kapitelle abgeschlagen.
Ein Renaissancetraum entstand. Für die Verwirklichung beauftragten die Münchhausens die ihnen vertraute Riege ihrer Handwerker aus dem Wesergebiet. Wahrscheinlich war sogar der Lieblingsarchitekt Cord Tönnies aus Hameln verantwortlich. Er oder seine Mitstreiter brachten die Weserrenaissance an die Elbe.

Schloßhof mit Turm
Innenhof des Schlosses in Leitzkau

Auf der Hauptseite ist der Schloßhof offen, wir können hinein. Das Schloß ist am Ende des Zweiten Weltkriegs und in den Jahren danach teilweise zerstört worden und die Anlage daher disparat. Auf dem Hof jedoch umgibt uns immer noch die Welt der Renaissance.

Der Treppenturm hat ein reichgeschmücktes Portal, zwei Giebel mit den typischen Voluten und einem Kugelabschluß. Besonders fasziniert uns die dreigeschossige verbindenden Loggia mit ihren offenen Bögen. Nur im Hof liegen noch die kaputten Gehwegplatten aus der DDR.

4. Der Bauherr Hilmar von Münchhausen – von der Weser an die Elbe

Die Münchhausens kamen ursprünglich aus Munichehusen. Dieser Ort der Mönche diente dem Schutz des Zisterzienserklosters in Loccum. Die Familie breitete sich im südlichen Niedersachsen aus. Hilmar brachte dann Ruhm und Geld.
Nicht alles war auf ehrliche und moralisch einwandfreie Weise erwirtschaftet. Hilmar war ein erfolgreicher Heerführer und eigenständiger Militärunternehmer. Als Söldnerführer warb er Soldaten an und verkaufte sie in militärischen Konflikten weiter.
Eine intrigante Seite schien im nicht fremd. Obgleich in spanischen Diensten des katholischen Philipp II., kämpfte er auf der Seite des protestantischen Wilhelm von Oraniens und unterstützte so die Unabhängigkeitsbewegung gegen die Spanier. Hilmar ist dem spanischen Herzog Alba verpflichtet, leiht aber Wilhelm von Oranien sein Geld. Die skrupellose Taktik bringt ihm Wohlstand. Die Spanier bezahlen ihn mit geraubtem Gold und Silber aus Südamerika. Die globalisierte Welt des 16. Jahrhunderts und die Eroberungskriege finanzieren Schloß Leitzkau. 

5. Das Erbe der Münchhausens und der heutige Zustand

Das Erbe Hilmars wird unter seinen Söhnen durch Los geteilt. Später gibt es Familienkrach und die weiträumige Anlage muß mittels einer Mauer geteilt werden. Im Schloßmuseum ist diese Teilung an einem Modell zu sehen. Das Ende ist der Zweite Weltkrieg. Deutsche Soldaten verschanzen sich im Schloß, es wird von amerikanischen Truppen besetzt und schließlich der Sowjetarmee übergeben. Der Schloßteil Althaus wird entsprechend der politischen Vorstellung im Umgang mit Adelssitzen in der DDR abgerissen, nachdem der Konservator vergeblich für den Erhalt plädierte. Der Schloßteich wird mit den Steinen des Abbruchs verfüllt. Dann zieht eine Schule ein und fast wäre aus der demolierte Kirche eine Turnhalle geworden.

Heute hat die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt hier ihren Sitz. Der Hauptteil des Schlosses ist für Besucher nicht zugänglich. Bis vor Kurzem informierte ein Museum über Geschichte und Anlage, jetzt residiert in den Räumen die Behörde. Im Schloss Hobeck, dem Seitenteil der Anlage, zeigt der „Förderkreis Kultur und Denkmalpflege Leitzkau“ einige der verbliebenen Ausstellungsstücke und bietet Galerieräume für wechselnde Ausstellungen.
Das Standesamt hat ein Trauzimmer eingerichtet, unter einer traumblauen Renaissancedecken können Lebensträume beginnen. Nebenan hängt noch immer über dem Kamin das Portrait der skandalumwitterten Emilie/Amalie von Werthern.

6. Skandal im Schloss – die Puppe im Sarg

Wir blättern in einem antiquarischen Schloßführer: „Das „Gut Althaus“ kam später an Philipp Adolfs drei Enkel, den Weimarer Kammerherrn Ernst Friedemann, den hannoverschen Premierminister Gerlach Adolph und den hannoverschen Minister Philipp Adolph.
Zu den Kindern des Letzteren gehörte die verheiratete Amalie von Werthern (1757–1844).
Mai 1785, ganz Weimar plaudert aufgeregt. Skandal. Amalie von Werthern arrangiert in Leitzkau ihr eigenes Scheinbegräbnis. Und brennt gleichzeitig mit August von Einsiedel nach Afrika durch. Die Holzbüste aus ihrem Sarg war noch 1938 in Leitzkau zu sehen.
Besser hätte es der 37 Jahre ältere Hieronymus von Münchhausen, der Lügenbaron, nicht erfinden können. Tatort: wahrscheinlich das Kaminzimmer, in dem heutzutage im Schloß standesamtlich geheiratet werden kann. Personen: Amalie von Werthern, auch Emilie genannt, geb. von Münchhausen. Ihr Ehemann: von Werthern, 20 Jahre älter, von Goethe als Großmaul beschrieben. Ihr Geliebter: August von Einsiedel, Philosoph, Naturforscher, Freund Herders. Der Bruder und Herr auf Leitzkau: Georg von Münchhausen. Die Zofe.
Was war geschehen? Nicht viel, wie die amüsierte Weimarer Gesellschaft, zu der August von Einsiedel und Emilie von Werthern gehörten, später erfuhr. 
Doch zunächst meldete die Zofe verwirrt und geschockt, soeben habe sich Emilie, zu Besuch bei ihrem Bruder Georg auf Leitzkau weilend, die Kehle durchgeschnitten.
Trotz aller Hilfe sei die junge Frau im Blutbad verschieden. Georg, der Bruder, der das viele Blut nicht sehen wollte, ließ die Selbstmörderin ohne Leichenschau bestatten und betrauern. Das allerdings war nicht das Ende der Geschichte. Wochen später wurde Emilie von Werthern mit August von Einsiedel in Straßburg gesichtet. Der aufgebrachte Herr von Werthern ließ, so wird erzählt, das Grab in Leitzkau öffnen und fand doch nur eine Holzpuppe. Nach anderen Berichten war es nur eine mit Steinen beschwerte Strohpuppe. Da befanden sich Emilie und August schon auf dem Weg nach Afrika. Welch unglaublicher Plan für eine Frau, um 1785 ins Innere Afrikas reisen zu wollen. August von Einsiedel hatte, gemeinsam mit seinem Bruder, diese Forschungsreise schon lange geplant und nun waren sie gemeinsam mit Emilie unterwegs. Allerdings endete das Vorhaben vorzeitig. Die reisenden Liebenden kamen nur bis Tunis. Weiter südlich herrschte eine Pandemie, die sie stoppte. Die Pest war ausgebrochen. 
Nach der Rückkehr wurde die Ehe mit Werthern geschieden und Emilie heiratete August von Einsiedel. Goethe hatte sich mehr Drama erwartet und schrieb an Charlotte von Stein “Wie abscheulich! Zu sterben, nach Afrika zu gehen, den sonderbarsten Roman zu beginnen, um sich am Ende auf die (all-)gemeinste Weise scheiden und kopulieren zu lassen.” 

Der alljährliche Töpfermarkt und der Weihnachtsmarkt sind liebevoll organisierte Attraktionen vor Renaissancekulisse.
Ab und zu werden Filme gedreht und somit Geschichten erfunden. 2008 dauerte der Dreh für fünf Filmminuten der „Die Päpstin“ in Leitzkau vier ganze Wochen.

7. Die Alte Elbe in der nahen Umgebung

Ein Abstecher in Richtung der nahen Elbe lohnt sich immer. Kornblumen, Mohnblumen, Getreide rechts und links der Straße. In den Hecken blüht der Holunder, im Mai der Raps. Die Alte Elbe zwischen Dornburg und Magdeburg ist eine der längsten noch erhaltenen Altflußadern in Europa. Die Auen sind ein Refugium für Störche, Fischottern, Biber und die in Deutschland sehr seltene Europäische Sumpfschildkröte. Ein wahres Paradies für Naturliebhaber. Badenixen können in kleinen Seen schwimmen und Ornithologen Reiher und Fischadler beobachten. Wandernd und Radfahrend erschließt sich die Gegend. Zum Anschauen gibt es die Kirchen an der Straße der Romanik, das Pretziener Wehr, ein technisches Denkmal von 1875 und von außen das Schloß Dornburg, das der Mutter von Katharina der Großen gehörte.  

Leitzkau. Weserrenaissance und Fake News nah der Elbe
Die alte Elbe bei Pretzien

Ein Ausflug nach Leitzkau. Weserrenaissance und Fake News nah der Elbe.

Tipps, Öffnungszeiten, Übernachten, Heiraten:
Was: Ein Schloß im Stil der Weserenaissance, eine Kirche an der Straße der Romanik.
In der Nähe: die längste Altflußader Europas: die alte Elbe. Badeseen. Am Elberadweg.
Wo: Leitzkau, eigenständiger Stadtteil von Gommern. 25 km südlich von Magdeburg an der Straße der Romanik.
Öffnungszeiten 2022: ganzjährig (Montag – Freitag) 08.00 bis 16.00, März – Oktober: zusätzlich Sa/So/FT von 10.00 bis 16.00 Uhr http://www.förderkreis-schloss-leitzkau.de
Standesamt im Renaissancezimmer.
Mehr zur Weserrenaissance: Hameln an der Weser. Renaissance und Rattenfänger.
Film: Teile des Films “Die Päpstin“ wurden in Leitzkau gedreht.
Stay: Pension Elisabeth in Prödel. http://www.pension-elisabeth-proedel.de/. Übernachten, im Garten relaxen, gut frühstücken, ein Fahrrad ausleihen, sich freundlich umsorgen lassen.
♥️ Unser Lieblingsplatz: Das Trauzimmer. Die Ruine der Basilika.

Das waren die Reisefrequenzen. Heute in Leitzkau und an der Elbe. Nah ist’s auch schön. 

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