Wittstock/Dosse. Sehenswürdigkeiten hinter der Stadtmauer – von Tuchmachern, Bischöfen und Soldaten.

Hallo! Die Reisefrequenzen nehmen Euch mit zu den Sehenswürdigkeiten von Wittstock an der Dosse, nordwestlich von Berlin in der schönen Ostprignitz. Wittstock ist eine der ältesten Städte in Brandenburg und vollkommen von einer roten Mauer umgeben. Früher war Wittstock wichtige Zwischenstation für christliche Pilger, heute lohnt sich ein Abstecher von der nahen A 19.

Wittstock wuchs auf der Fläche einer slawischen Siedlung und wird schon im Jahr 946 als Besitz der Havelberger Bischöfe erwähnt. Der Stadtname geht auf ‚vysoka’ – die auf sicherem Grund über der Dosse ‚hoch gelegene’ – zurück und hat mit einem weißen Stock nichts gemein.

Der Tag ist heiß, sommerblau und still. Wir machen uns auf den Weg zur Stadterkundung.
Ein roter Mauerring umschließt die Wittstocker Altstadt als sei sie ein Faustpfand. Diese grandios erhaltene Stadtbefestigung stammt aus dem Mittelalter und wurde seitdem sorgfältig ausgebessert und restauriert.

Wittstock/Dosse. Sehenswürdigkeiten hinter der Stadtmauer - von Tuchmachern, Bischöfen und Soldaten.
Die Stadtmauer von Wittstock

Die Sehenswürdigkeiten in der Altstadt von Wittstock

Das 13. Jahrhundert brachte für Wittstock den Aufschwung. Stadtrechte 1248, Verleihung des Stadtsiegels 1251. Der Neubau einer Bischofsburg auf dem einstigen slawischen Festungsplatz wird erstmals 1244 erwähnt. Gleichzeitig begannen die Bürger mit dem Bau ihrer städtischen Wehranlagen. Die Wirtschaft florierte und die neue massive Mauer sollte die Wittstocker, ihre Fachwerkhäuser und Güter schützen. Knapp 2,5 Kilometer lang, ursprünglich 9 bis 11 Meter hoch.
An diesem Sommertag glüht der Schutzschirm in braunrötlichen Farbtönen unter der Sonne. Die Wittstocker Stadtmauer ist ein doppeltes Phänomen: Ihre Backsteine wurden im profan selten genutzten Klosterformat gebrannt und sie blieb über die Zeiten nahezu vollständig erhalten.
Noch immer sind die zur Feldseite gelegenen Wallanlagen gut zu erkennen. Wie ein grüner Gürtel legen sie sich als ein friedlicher Park um die rötliche Mauer. Spazierwege unter Bäumen laden zu einem Gang um das leicht deformierte Stadtrund.
Von den ehemals drei Stadttoren steht noch das gotische Gröpertor und zeigt sein hübsches weißrotes Blendwerk. Ich gehe durch die alte Bresche neben dem Tor in die Stadt. Ein holpriger Katzenkopfpflasterweg folgt der Innenseite der Wehrmauer zwischen hohen steinernen Wänden. Der mittelalterliche Pfad für Wachsoldaten und Nachtwächter.

Im 14. Jahrhundert werden unter den Wittstocker Bürgern ein Lehrer, ein Tuchmacher und ein Gewandschneider erwähnt. Erster Hinweis auf die erfolgreiche Weiterverarbeitung der Wolle und die Entstehung der Tuchindustrie. Rechterhand des Gröpertors, zwischen Heiliggeiststraße und Kettenstraße, arbeiteten die meisten der effizienten Tuchmacher und -händler.

Doch auch dunkle Zeiten legten sich über die Stadt. Feuer vernichtete ganze Viertel, Infektionskrankheiten forderten zahllose Opfer, sogar über ein Erdbeben wird berichtet. Nach dem Tod des letzten Havelberger Bischofs Busso II. 1548 und der Reformation verlor Wittstock seine sehr einträgliche Rolle als Zwischenstation auf dem wichtigsten nordeuropäischen Pilgerweg in das 50 Kilometer entfernte Wilsnack.

Ich schlendere die Gröperstraße hinunter. Sie führt direkt direkt Markt und ist eine der Hauptachsen der Stadt. Rechts steht die Heilig-Geist-Kirche. Früher war sie die Kirche der Pilger und Kaufleute, heute ist sie Mittelpunkt des „Heilig Geist“ Gemeindezentrums. Das sorgfältig restaurierte Ensemble aus Beginenhaus, Alter Ratswaage und Catharina-Dänicke-Haus wird ebenfalls kirchlich genutzt. Catharina Dänicke war eine wohlhabende Kaufmannswitwe des 18. Jahrhunderts. Nachdem das Hospital zum Heiligen Geist in einer Feuersbrunst niederbrannte finanzierte sie den Neubau. „Aus Liebe zu Gott und meinem dürftigen Nächsten“. Catharina Dänicke war eine bemerkenswerte Frau und die Ur-Ur-Urgroßmutter von Alfred Wegener, dem Entdecker der Kontinentalverschiebung.

In einem kleinen Laden kaufe ich Schokolade und frage die Verkäuferin, was in Wittstock interessant zu sehen sei. „Och“ – brandenburgtypisches Zögern – „nichts besonderes. Oder ich sag mal: alles“.
Mein nächster Stopp ist der von kleinen Cafés und Geschäften gesäumte Wittstocker Marktplatz. Der Quicklunch im Markt 11 stärkt schmackhaft für weitere Erkundungen und ist eine Empfehlung.
Mitten auf dem Platz steht das Wittstocker Rathaus. Die barocke grünliche Turmhaube ist das Kennzeichen aus der Distanz. 1274 erstmals erwähnt wurde es 1905/1906 im Stil des Historismus um- und neu aufgebaut. Am 20.03.1954 brannte das Wittstocker Rathaus aus. Ein SED-Nachtwächter zündelte wahrscheinlich mit seiner Zigarette den Holzboden an.
Im Rücken des in den 1990er Jahren restaurierten Amtshauses steht noch immer die alte Gerichtslaube aus dem 16. Jahrhundert. Eine Sonnenuhr an ihrer Wand zeigt seit Jahrhunderten das stetige Vergehen der Zeit.
Das Gericht tagte im öffentlich einsehbaren und manchmal recht zugigen Erdgeschoss des gotischen Backsteingebäudes. Kein Gemauschel, keine heimliche Absprachen oder gar Korruption sollten die Wahrheitsfindung der Prozesse stören. Den 17 Frauen, die in Wittstock als Hexen angeklagt und verurteilt wurden half diese Öffentlichkeit nicht. Eine autoritäre Regierung ließ keine Anwälte zu.
Ich schlendere durch die Nebenstraßen und betrachte die aufwendig restaurierten Altstadthäuser. Ab und zu sehe ich eine an Straßenpfosten gekleisterten Aufkleber der Neonazis.
Über die Häuserreihen ragt der rote Turm der Evangelischen Stadtpfarrkirche St. Marien und St. Martin. Ihr Grundstein wurde mit der Anlage der Planstadt um 1240 gelegt. Seitdem sie um 1471 einschneidend umgebaut wurde hat die Wittstocker Hauptkirche einen geraden gotischen Chorabschluß. 1484 wurde die seitliche Marienkapelle angebaut, wahrscheinlich mussten die Wittstocker Bürger sie als Sühne für einen Aufstand gegen Bischof Wedego von Havelberg in Eigenleistung aufmauern.

Im Inneren der dreischiffigen gotischen Hallenkirche wartet eine Schöne Madonna am Eingang des Chores. Die neuesten und auffälligsten Ausstattungsstücke sind Adam und Eva. Hans Schweib hat sie für die Pfeiler des Chorbogens entworfen.
Für alle, die den Überblick lieben lohnt sich der Aufstieg zur Aussichtsplattform in der Laterne des Kirchturms.

Wittstock ist die Stadt der Rosen

Langsam verblühen die noch leuchtenden Rosen die sich an manches Fachwerkhaus lehnen. Wittstock möchte Stadt der 1000 Rosen werden. Eine ihrer blühenden Besonderheiten ist die füllige Strauchrose ‚Rosa Wizoka’, getauft auf den Stadtnamen.
Die Wittstocker Rosen haben ihre Geschichte. Sie rankt sich um Bischof Konrad von Lintdorf (1427- 60), den Stifter des „Rosenplans“.

Die Wittstocker begingen einmal wie üblich das Pfingstfest mit Spiel und Tanz im Freien. Der Platz war recht schlecht zum Tanzen geeignet. Da kam der Bischof vorübergeritten und sah eine Weile dem Treiben zu. Weil nun aber auf dem unebenen Platze das Tanzen so holprig ging, fragte er die jungen Mädchen und Frauen, ob sie denn keinen besseren Spielplatz hätten. Sie verneinten es seufzend. Nun lagen gegenüber auf der anderen Seite der Straße bischöfliche Wiesen, die zu einem Festplatze wohl geeignet waren. Da forderte der Bischof eine junge Bürgerfrau auf, mit ihrem Mann auf der Bischöflichen Wiese einen Tanz zu machen. Was sie ohne Ruhepause umtanzen würden, sollte der Stadt als Festplatz gehören. Die beiden waren ein rüstiges Paar und sorgten dafür, dass der Platz nicht zu klein wurde. Er wurde mit Linden und Rosen bepflanzt und hieß fortan der Rosenplan.

“Teufelsbutter in Dranse” – Heimatsagen der Ostprignitz, Autor: Dr. Wolfgang Dost, erschienen im Gudrun Dochow-Verlag Wittstock 1995

Fast am Ende der Marktstraße, die nun St. Marienstraße heißt, steht das Telschowsche Haus von 1566. Im 17. Jahrhundert beherbergte es die Wittstocker Poststation. Die Fahrzeit für Reisende ins ferne Berlin wurde mit exakten 23 Stunden und 45 Minuten angegeben. Heute ist statt der Relaisstation zum Pferdewechsel die CDU eingezogen.

Die Alte Burg der Bischöfe in Wittstock

Anschließend passiere ich den Großen und Kleinen Graben und erreiche den Amtshof. Am backsteinernen Stadtring hängt wie ein Anhänger einer zweiter viel kleinerer stark befestigter Ring. Er wird von einem massiven Turm bewacht und liegt auf der Anhöhe über dem Zusammenfluss von Dosse und Glinze. Hier zog um das Jahr 1250 der erste Havelberger Bischof ein und ließ die Alte Burg in Wittstock zur jahrhundertelang genutzten Residenz seiner Nachfolger ausbauen. Sie blieb immer die Alte, eine Neue Burg hat es nie gegeben.

Der Torturm, das Amtshaus und die starke Befestigung sind bis heute erhalten. Im Museum Alte Bischofsburg erfahre ich in einer Ausstellung mit viel Text zum Lesen mehr über Wittstock, die Ostprignitz und die furchtbare Zeit des Dreißigjährigen Krieges.

In einer der größten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges wüteten Schrecken und Tod am Scharfenberg vor den Toren von Wittstock. Am 4. Oktober 1636 standen sich 16.000 Protestanten unter der schwedischen Führung des Feldmarschalls Johan Banér und 22.000 bis 30.000 Katholiken der kaiserlich-sächsischen Allianz unter Generalfeldmarschall Graf Melchior von Hatzfeld und Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen gegenüber. Mann gegen Mann. Schlachtentscheidend war der späte Einsatz schwedisch-schottischer Einheiten. Die Protestanten siegten. 6000 – 8000 Soldaten verloren ihr Leben. Ihre Leichen wurden geplünder, verscharrt oder notdürftig begraben.
Im Frühjahr 2007 schnitt ein Arbeiter auf einer Baustelle im südlichen Wittstock mit seinem Bagger ein Massengrab an. Menschliche Knochen splitterten. Als die gerufenen Archäologen anrückten, sahen sie vor sich die Toten der Schlacht am Scharfenberg in der staubigen Erde. 88 der insgesamt 125 Skelette konnten geborgen werden. Dieser Wittstocker Fund ist aufgrund seiner europaweiten Seltenheit eine archäologische Sensation.
Dicht an dicht lagen die toten Männer im Grab, kaum einer ist älter als 28 Jahre geworden. Sie waren im Durchschnitt 1,70 m groß und ihre Skelette zeigten die Spuren von harter Arbeit und schweren Verletzungen. Infektionskrankheiten samt Syphillis, Atemwegserkrankungen verursacht durch das feuchtkalten nordeuropäische Wetter beeinträchtigten ihre Lebensqualität. Die meisten Krieger starben durch einen Schlag auf den Schädel.
Südlich der Altstadt erinnert auf dem Bohnenkamp die Aussichts-und Gedenkplattform zur Schlacht bei Wittstock 1636 an die tödlichen Kämpfe.

Kaum hatten die Wittstocker die Verwundeten versorgt und die Plünderungen der marodierenden Überlebenden überstanden, brach die Pest aus. 1638 starb die Hälfte der Bevölkerung an der unheilbaren Krankheit, über 1500 Menschen verloren ihr Leben,
Die jüngere Geschichte ist nicht weniger grausam. Im nahen Belower Wald lagerten im Frühjahr 1945 tausende Menschen, die von den Nationalsozialisten aus dem KZ Sachsenhausen und dem KZ Ravensbrück auf den Todesmarsch gen Norden getrieben wurden. Vollkommen entkräftet und verhungert starben hunderte von ihnen im Wald. Als letztes Zeichen ritzten sie Buchstaben und Zeichen in die Rinde der Bäume. verhungert starben sie im Wald lagerten auf dem Todesmarsch bei Wittstock 700 – 800 Menschen. Inzwischen ist an dieser Stelle des Schmerzes eine Gedenkstätte eingerichtet.

Ein Abstecher zum Wittstocker Tuchmachergewerbe

Ein Abstecher durch die Auen der Dosse führt mich zum Dosseteich. Hier lag das Wittstocker Produktionsgebiet. Der alte Schlachthof und ab 1900 die großen Tuchmacherfabriken.
Seit dem Mittelalter lieferten die Schäfer der Prignitz qualitätsvolle Wolle und in Wittstock wurden aus dem Wollgarn feste Tuche gewoben. Das erstes Privileg der Tuchmachergilde wird 1324 erwähnt. Im Jahr 1697 berichten historische Quellen bereits von 110 Tuchmachern, 1826 werden 275 Betriebe gezählt. Dann beginnt die alles verändernde Industrialisierung.
Zwei Tuchfabrikanten beweisen ihre herausragenden Management- und Marketingqualitäten und setzen insbesondere auf die Produktion preußischer Militäruniformen. Friedrich Wilhelm Wegener und Friedrich Paul. Die Wegenersche Firma fusioniert mit der Tuchfabrik Draeger-Quandt aus Pritzwalk. In ihren Hallen wurde bis 1990 produziert, zum Schluss einfache Küchenmöbel. Jetzt soll sie ein Bildungscampus werden, der Umbau scheint endlos, das Gebäude ein ruinöser lost-place.
Wegener und Quandt, die Wittstocker Tuchmacherfabrikanten, tragen bekannt gewordene Namen.
Friedrich Wilhelm Wegener betrieb seit 1822 eine erhaltene Tuchmaufaktur im Rosenwinkel der Altstadt. 1900 starb sein Nachfahre Paul Georg Wegener und Emil Quandt, seit 1865 Tuchfabrikant in Pritzwalk, übernahm die Geschäfte. Dessen Sohn Günther, erfolgreicher Industrieller, baute sich 1920 die Quandt-Villa, trat 1933 in die NSDAP ein und setzte nicht mehr auf Tuche sondern auf Rüstungsgüter. Seine Nachfahrin ist Susanne Klatten, Mehrheitseigentümerin BMW, 7. reichste Frau auf dem Planeten.
Friedrich Wilhelm Wegener, Gründer dieser Tuchfabrik an deren Giebel noch immer seine Initialen stehen, war der Großvater von Alfred Lothar Wegener, Geophysike und Polarforscher.

Zum Abschied begleite ich den imaginären Theodor Fontane und setze mich auf die grüne Bank in seinem Garten der zur Landesgartenschau 2019 entstand. Fontane scheint die Schönheit der Prignitz nicht erkannt zu haben, so bleibt sie ganz uns. Noch summen die Insekten, die Herbstsonne scheint, pralle Äpfel reifen am Spalier.
Auf der anderen Seite des wehrhaften Burgeingangs schlendere ich auf idyllischen Wegen zwischen Dosse und Glinze, hinter mir grasen die Schafe und vor mir zeigt sich das weite Stadtpanorama hinter der roten Mauer.

Wittstock/Dosse. Sehenswürdigkeiten hinter der Stadtmauer - von Tuchmachern, Bischöfen und Soldaten.

Das waren die Reisefrequenzen auf dem Stadtrundgang durch Wittstock/Dosse.

Tipps für Wittstock/Dosse in der Prignitz:
Wo: Wittstock/Dosse in der Ostprignitz
Anreise: Mit RE 6 ab Berlin Spandau in 1 Stunde 36 Minuten
Sehenswürdigkeiten:
St. Martin und St. Marienkirche mit Turmbesteigung
Museum Alte Bischofsburg (Museum Ostprignitz und Museum zum Dreißigjährigen Krieg)
Gedenkstätte Todesmarsch Belower Wald

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