Ofenstadt Velten. Unterwegs auf den Spuren des Kachelofens.

Frisch ausgezeichnet, typisch Brandenburg, aus Velten: traditionelle Kachelöfen gehören seit März 2023 zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe Deutschlands. Das Engagement des Ofen- und Keramikmuseums in Velten hat sich gelohnt. Gemeinsam mit Handwerkern, Wissenschaftlern und Denkmalpflegern bewarben sie sich um die Auszeichnung der wärmenden Öfen und hatten Erfolg.

Die brandenburgische Stadt Velten, nördlich von Berlin unweit der Havel gelegen, hat sich den Beinamen „Ofenstadt“ gegeben. Schon das Wappen der Stadt zeigt einen stylisierten Ofen mit klassisch grün glasierten Kacheln und einer knallgelben Ofentür. In Velten ist das Wissen um Kachel und Ofen seit dem 19. Jahrhundert Tradition. Die örtlichen Tonvorkommen und die schiffbare Verbindung über die Havel in die schnell wachsende Großstadt Berlin sorgten für einen Boom der Ofenfabriken. Das beliebteste Produkt wurde der um 1810 in strenger Form von Tobias Feilner und Karl Friedrich Schinkel entworfene „Berliner Ofen“. Der schlichte Kubus mit einer glänzend weißen Emailglasur-Oberfläche der Kacheln zog zunächst in die Berliner Stuben und wurde schließlich ein europaweiter Exportschlager.

Unterwegs in Velten

In Velten suchen wir nach den Spuren der Ofenfabriken die einst in der Stadt standen. 1835 ließ Johann Ackermann die erste Fabrik für Kachelöfen errichten. Es folgte der schnelle Aufschwung der Produktion. Gut hundert Jahre später ist die Blütezeit der Ofenkachel vorbei. Obgleich in den 1960er Jahren die Veltak noch der größte Ofenkachelhersteller Europas war, blieb der Kachelofen ein Auslaufmodell.

Vom Bahnhof Velten zum Ofen- und Keramikmuseum in Velten

Der Bahnhof Velten ist selbstverständlich aus heimischem Backstein und hübsch renoviert.

Auf der anderen Seite der Gleise entdecken wir in der Kreisbahnstraße ein großes ruinöses Gebäude. Die ehemalige Ofenfabrik Netzband ist – kurz vor dem Verfall – eine der wenigen Zeugnisse der tonverarbeitenden Tradition. Ein blaugerahmtes verblichenes Schild erläutert ihre Geschichte. Gegründet um 1900 und nach 1949 aufgegeben. Um 1905 hat ein Fotograf die Veltener Industriestandorte mit der Kamera festgehalten. Stillleben in Sepia. Eine erstarrte Erinnerung an über 2000 Beschäftigten die während des produktiven Höhepunktes um 1900 pro Jahr über 100.000 Kachelöfen herstellten. 1905. Damals war Velten die bedeutendste Ofenkachelstadt im Deutschen Reich. Und die Veltener produzierten nicht nur wärmespeichernde Kacheln, sondern auch Dekofliesen für die Berliner U-Bahn. Ihre Keramik hängt an den Wänden der U-Bahnhöfe Leinestraße, Fehrbelliner Platz und ganz in Orange am Rosenthaler Platz der U 8.
Zwischen dem Bahnhof und dem Ofen- und Keramikmuseum steht im ausgedehnten Viktoriapark ein Fels aus fehlgebrannten Ziegeln. Es ist das Ziegeldenkmal von 1906 und konstatiert: „Kunst und Natur sei eines nur“.
Nebenan auf dem Friedhof leuchtet ein farbenfrohes Blumenmeer auf den Gräbern. Die Veltener scheinen ihre Toten nicht zu vergessen.

Das Ofen- und Keramikmuseum Velten

Das älteste Ofenmuseum Deutschlands ist in die Backsteingebäude der 1905 eröffneten und inzwischen geschlossenen Ofenfabrik Schmidt, Lehmann & Co. GmbH eingezogen. Die Fabrik wurde aus typisch gelblichem Veltener Ton errichtet und steht etwas zurückgesetzt in einem Hof. Im Obergeschoß des Hauses wird uns schnell warm ums Herz. Zahlreiche stolze Kachelöfen aus Barock, Klassizismus, Gründerzeit und Klassischer Moderne zeigen mehr als 300 Jahre Kulturgeschichte des Heizens. Zahlreiche Details, tönerne Blüten, Figuren und bunte Dekors schmücken die wunderschönen Kachelöfen.
Im Erdgeschoß zeigt eine zweite Ausstellung Keramik gestreift in blau-weiß. Die Präsentation ist Hedwig Bollhagen und ihrer künstlerischen Handschrift gewidmet. Ihre zeitlos klassische Gebrauchskeramik ziert das bekannte Kürzel HB.
Das Gebäudeensemble des Keramik- und Ofenmuseums erzählt am historischen Ort von der Industriegeschichte Veltens. Es ist die letzte verbliebene Silhouette der einst stadtbildprägenden Ofenfabriken. Längst sind die anderen Fabriken abgetragen, keine Tonerde wird mehr gebrochen, keine Rußwolke legt sich mehr über die Stadt.

Im Museum gibt es auf Nachfrage die Kopie eines 1894 von Gustav Gericke herausgegebenen historischen Stadtplans von Velten. Auf dem DIN A 4 Blatt sind die Standorte der fünf damaligen Ziegeleien und der etwa 40 Ofenfabriken grün markiert festgehalten. Wir wollen vor Ort die Lage erkunden. Die Straßen auf dem 130 Jahre alten Plan sind heute noch fast alle vorhanden. Nur wo einst der Ringofen Blumberg zum Brennen von Ziegeln stand verläuft jetzt die architektonisch wenig begeisternde Poststraße.

Rundgang durch Velten

Wir schlendern durch die Viktoriastraße, sehen die durch blaugerahmte Schilder markierten Standorte der ehemaligen Ziegeleien und die im märkischen Stil der Gründerzeit gestalteten Häuser ihrer Besitzer.  Am alten Dorfanger steht die Kirche von 1750 und auf der Breiten Straße davor rauscht Autoverkehr. Die Strecke ist ein Teil der Deutschen Tonstraße, die in 215 km durch Berlin und Brandenburg führt und mit Stopps bei Ziegeleien, Keramikwerkstätten und Museen das Wissen um eine früher existenzielle Industrie aufspürt.

Schräg gegenüber ist in den 90er Jahren Brom abgefüllt worden. Der Landgasthof in einem Straßenknick gelegen trägt den Namen „Zur scharfen Kurve“ und auf dem Gelände einer abgerissenen Ofenfabrik fast gegenüber stehen eintönig neue Häuser.
Velten war ein Viereck um ein freies Feld in der Mitte, umgeben von Scheunen und Häusern. Heute weiden dort Pferde und ein Hahn plustert sich auf.


An der Mühlenstraße Ecke Luisenstraße werden gerade die Überreste der Ofenfabrik von Friedrich Zirner 1887 zugunsten eines Kitabauplatzes abgerissen. So verschwinden die letzten Spuren der Tonberarbeitung.
Auf der westlichen Seite Veltens sind im alten Stadtplan die „Töpferberge“ verzeichnet. Seit dem Mittelalter wurde hier Ton abgebaut und an die Ziegelbäcker und –brenner verkauft. In Tonschlämmen wurde das Material aufbereitet, die Kachelöfen daraus gebaut und schließlich erst auf Pferdefuhrwerken und später mit der Bahn zur Havel verfrachtet.
Ich erinnere mich an den zartgelben nicht mehr ganz funktionstüchtigen Kachelofen in meiner Studentenbude. Vielleicht kam auch er aus Velten.
Auf der Wilhelmstraße liegen Stolpersteine für Erna und Gustav Gersinski und für Richard Ungermann, der als KPD-Mitglied von den Nazis verhaftet, erschossen und in der Havel versenkt wurde. Rechterhand steht ein großer Saal mit versiegelten Fenstern und eine Kirche der Baptisten ist bereits im Stadtplan 1894 verzeichnet.
Zurück zum Museum. Schräg gegenüber arbeitet die letzte Veltener Kachelfabrik. BOS Keramik GmbH, gegründet 1997, am Standort der ehemaligen Ofenfabrik Carl Sensse.

Wir schauen neugierig über den Zaun, doch lachend wird unser Interesse abgewehrt. Die materielle Fertigung der letzten Veltener Ofenkacheln bleibt uns verborgen. Jedes noch so immaterielle Kulturerbe birgt ein Geheimnis.

Zum Schluß noch ein Reim:
„Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen schenken.“
(Joachim Ringelnatz, Teil eines Gedichtes von 1928)

Das waren die Reisefrequenzen unterwegs im Ofen- und Keramikmuseum und auf einem Rundgang in der Ofenstadt Velten.

Tipps für Velten
Hinkommen: von Berlin mit RE 6 nach Velten. Vom Bahnhof in fünf Minuten zu Fuß zum Ofen- und Keramikmuseum.
Museum: Ofen- und Keramikmuseum Museum http://okmhb.de/
Shoppen und Besichtigung: Im Luisenhof Milchladen an der Berliner Straße (Gewerbegebiet) kann nach Voranmeldung bei der Milchproduktion zugeschaut werden, im Hofladen werden Bio-Milchprodukte angeboten https://milchmanufaktur.berlin/milchladen/
Töpferei Malenz Am Anger 1 http://www.toepferei-malenz.de/

4 Gedanken zu „Ofenstadt Velten. Unterwegs auf den Spuren des Kachelofens.“

  1. Großen Dank für den ausgezeichneten Blog zum Kachelofen! Diese Angaben werden meinem Bruder gut weiterhelfen. Hoffentlich finde ich bei der nächsten Thematik genauso gute Beiträge.

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  2. Ich finde Kachelöfen sehr schön und überlege mir einen einbauen zu lassen. Gut zu wissen, dass Velten die Ofenstadt in Deutschland ist. Es liegt bei mir in der Nähe. Ich denke, ich werde der Stadt mal einen Besuch abstatten.

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    • Hallo Katrin! Vor allen Dingen das Museum in Velten ist einen Besuch wert. Dort gibt es traumhaft schöne Kachelöfen, vielleicht ist ein Vorbild für Deine Pläne dabei. Viele Grüße!

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