Landgut Borsig – Landgut Stober. Von Lokomotiven zur Landwirtschaft.

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Landgut Borsig - Landgut Stober. Von Lokomotiven zur Landwirtschaft.
Landgut Borsig - Landgut Stober. Von Lokomotiven zur Landwirtschaft.
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Hallo! Hier geht’s zu den Reisefrequenzen. Nah ist’s auch schön. Zum ehemaligen Gut Borsig, das jetzt Landgut Stober heißt.

Eine rötliche Perle liegt am blauen Groß Behnitzer See. Unser Ziel ist das ehemalige Landgut der Maschinenbaudynastie Borsig. Wir sind unterwegs aus Richtung Nauen, das Herbstlicht färbt die Felder tiefgrün und in der Ferne drehen sich unzählige Windräder. Die Straße ist gerade breit genug für die Begegnung zweier Fahrzeuge. Sie ist holprig, als wäre nur eilig neuer Asphalt über dem alten Kopfsteinpflaster verdichtet worden. In einer kleinen Senke etwas abseits stehen hundert, zweihundert Kraniche und schlagen sich die Mägen voll.

1. Aus dem Gut Borsig wird Stobers Landgut am Ufer des Groß Behnitzer Sees

Borsig. Pionier der Lokomotivkonstruktion, Synonym für Ingenieurwesen, zweitgrößter Lokomotivfabrikant weltweit. Ein Name, den jedes Kind kannte. Albert Borsig, der Sohn des Firmengründers August, kaufte sich das Landgut im Havelland am Ufer des Groß Behnitzer Sees. Der erfolgreiche Industrielle strebte nach den Attributen des Adels und dazu gehörte der Großgrundbesitz auf dem Land. Borsig fand seine Scholle in der eiszeitlichen Beetzseerinne.„Landgut Stober“ zeigen uns die Wegweiser schon viele Kilometer vor dem Ziel. Und führen doch gedanklich in die Irre. Seit ein paar Jahren heißt das Landgut „Stober“,  der Name Borsig ist verschwunden. Ein Rechtsstreit zwischen den Erben Borsig und dem neuen Besitzer Michael Stober wurde vom Bundesgerichtshof entschieden. Stobers dürfen den Namen Borsig nicht mehr verwenden. Borsig bleibt Erinnerung.

Landgut Borsig - Landgut Stober. Von Lokomotiven zur Landwirtschaft.
Arbeiter in der Maschinenfabrik Borsig

Groß Behnitz ist ein typisches märkisches Straßendorf. Links ein Haus mit großem Garten und rechts eines mit ebenso großem Garten und am Rande einige Plattenbauten. Ziemlich in der Mitte die Kirche. Fast direkt gegenüber stehen wir vor dem großen Tor zum Gut und sind ein wenig überrascht. Nicht am Ende des Dorfes, nicht etwas zurückgesetzt sondern mittendrin mit dem Rücken zur Straße und dem Gesicht zum See liegt diese rötliche Perle aus Backsteinbauten.

Das große Tor ist zu, geschlossen. Unser Rütteln und Schütteln öffnet nichts. Imposant steht es da, Eindruck machend und abweisend, ein schmiedeeiserne Gitter zwischen zwei roten Ziegelpfeilern. Es war das Tor direkt zum Herrenhaus. Als Krönung stecken auf den Pfeilern die antikisierenden Sandstein-Trophäen vom alten Oranienburger Tor in Berlin. Carl von Gontard, der auch an den Kirchen auf dem Berliner Gendarmenmarkt mitwirkte, hat sie gestaltet. Das Oranienburger Tor haben die Borsigs in der Stadt an jedem Tag gesehen, es stand direkt neben August Borsigs erster Fabrik im rußigen Berliner Feuerland. Der Ausgangspunkt seines Lokomotiv- und Industrieimperiums lag nördlich der Berliner Torstraße, knapp außerhalb der Stadtmauer, das Tor war der Familie ein vertrauter Ort. 1867 wird es abgerissen, zu eng geworden für die boomende Großstadt. Borsig kauft die Trophäen für sein Landgut in Groß Behnitz. 

Nach ein paar Schritten auf dem Bürgersteig entlang der ehemaligen Gutsgebäude erreichen wir die große offene Hofeinfahrt. Der weite gepflasterter Innenhof schimmert im späten Herbstlicht, die ziegelroten Backsteingebäude leuchten flammend in der Sonne. In der Mitte des Hofes steht eine alte Lokomotive. Sie ist der farblichen Umgebung angepasst, braunroter Rost mischt sich in den blaßroten Anstrich. Jedoch „Sie ist von Krupp“ erzählt ein freundlicher Mitarbeiter des Restaurants, der uns im großen, fast leeren Gutshof entdeckt und ein Gespräch beginnt. „Trotz Corona hatten wir im Sommer viel zu tun“. Tagungen, Hochzeiten, Geburtstagsfeiern. Der ehemalige Landwirtschaftsbetrieb ist unter Stobers Leitung ein zertifiziertes Bio-Hotel und eine Eventlocation. Der Ort verlockt. Im Hof spielen zwei Jungs aus dem Dorf.

Landgut der Borsigs/Landgut Stober am Abend

2. Die Geschichte in Groß Behnitz

1173 wird Groß Behnitz erstmals in einer Urkunde erwähnt. Die Besitzer wechselten, kein Geschlecht ließ sich hier lange nieder. 1739 heiratete Familie von Itzenplitz in Groß Behnitz ein und der Erbe Peter Alexander von Itzenplitz baute es Jahre später nach neuesten Ideen aus. Seine zweijährige Grand Tour durch Holland und England mit Frau von Friedland hat ihn inspiriert. Aus dem modernen, frühindustriellen England brachte er Kenntnisse über neue landwirtschaftliche Methoden mit, ein Gut war ja kein Ponyhof. Er baute Groß Behnitz zum zeitgemäßen und repräsentativen Sitz seiner Familie aus. Ein neues klassizistisches Herrenhaus, erbaut um 1800 und mit Blick zum See, gehörte ebenso dazu wie das top-modernes Highlight eines Englischen Gartens und die Pflanzung exotischer Bäume im märkischen Sand.
Die aufgeklärten Freunde, der Jurist Carl von Savigny und der Arzt und Landwirtschaftsreformer Albrecht Thaer aus Celle, der gerade nach Möglin umzog und ebenfalls von Englands Vorbild begeistert war, machten sich zu inspirierenden Gesprächen auf den Weg nach Behnitz.

3. Borsigs erwerben das Gut

1866 mussten die Itzenplitzs verkaufen. Borsig erwarb die Immobilie für 450.000 Taler. Schnell veränderte und erweiterte er das Anwesen auf dem grünen Hang mit Blick zum Blau. Das Herrenhaus wurde 1869 vom Architekten Gansow umgestaltet. Klassizistisch, zweistöckig, elfachsig mit Erker zum See über dem alten Keller und der Umfassungsmauer wurde es neu aufgebaut. 1875 kam ein mehrstöckiges Logierhaus für die zahlreichen Gäste hinzu, die Entfernung nach Berlin erforderte Übernachtung. Beide Häuser bildeten mit ihren Stuckfassaden ein strahlend weißes Ensemble, das durch eine Loggia verbunden war. Der Architekt muss die Potsdamer Bauten von Ludwig Persius gekannt haben. Das Weiß der beiden Wohnhäuser leuchtete zwischen dem roten Backstein.
Zum Gut gehörten zwangsläufig die Wirtschaftsgebäude. Zwei Brennereien für die Herstellung von Industriealkohol und Schnaps, eine davon mit zierlichen Eisensprossenfenstern. Wir haben sie vom Hof aus als Besonderheit entdeckt. Daneben erspähten wir durch ein staubiges Glasfenster das Förderband zur „Dicken Bertha“, der alten für die Brennerei zuständigen Dampfmaschine. In Nicht-Corona-Zeiten kann sie besichtigt werden. Zwei Turmhäuser, eines davon ehemals Sitz des Verwalters, eine Schmiede, weitere Werkstätten, Stallungen und Scheunen sowie ein Arbeiterwohnhaus. Im Dorf wurde eine Schule und das Erbbegräbnis finanziert.
Das alles zeigen nur die alten Pläne und die leicht vergilbten Postkarten. Wir können es kaum fassen. Die schönste Perle in der Kette fehlt. Das Herrenhaus ist abgerissen. Eine Leerstelle ist das Einzige, was übrig ist. Bei einem Dachstuhlbrand im Sommer 1947 verursacht wohl durch Unachtsamkeit einquartierter Flüchtlinge, wurde es nicht wesentlich beschädigt. Im September 1948, politisch korrekt der Doktrin der sowjetischen Besatzungszone folgend, abgetragen. Nur die Grundmauern sind erhalten. 235.000 Mauersteine aus dem Abriss wurden den Aufbauprogrammen für Neubauernhöfe überlassen. Die letzten Reste werden 1974 gesprengt.
Die charmanteste, verträumteste Entdeckung, die wir auf den eselseckigen Postkarten machen, sind zwei weiße Pavillons im See. Der eine kleine stand weit außen, der andere größere schräg vor dem Herrenhaus. Stelzenhäuser über dem sich sanft kräuselnden Wasser. Wie lange sie dort standen, bleibt uns verborgen. Wir träumen uns die Damen Borsig und ihre Freundinnen in extravagante Kleidern, ein schwarzer Atlasgürtel um die Taille, ein zartgelber italienischer Strohhut auf dem 1909 geadelten Haupt, vielleicht ein modischer Sonnenschirm aus Taft in der Hand.

Die Borsigs katapultierten das Landgut ins industrielle Zeitalter und bauten es zu einem der modernsten industriellen Agrarbetriebe aus. Ein klimatisierter Kuhstall, ein Kartoffelgarautomat, eine dampfbetriebene Feldmaschine und die von einer Dampfmaschine betriebene Schnapsbrennerei waren die Entwicklungen der futuristischen Vision im Havelland. 

Nach dem Immobilienkauf in der ländlichen Idylle finanzierte der Eisenbahnkönig Borsig zügig 1869 einen eigenen Bahnhof „Groß Behnitz“ als Abstecher an der Strecke der Lehrter Bahn. Der Kutschweg war lang und rucklig, die ländlichen Gefilde zu erreichen nur über Bahngleise attraktiv. Zudem sicherte die Station die schnelle Lieferungen der eigenen landwirtschaftlichen Produkte zum Verkauf in der Hauptstadt Berlin und zum Verzehr in den betriebseigenen Kantinen dort. 

1933 übernahm Ernst von Borsig jun. das Gut. Borsig war aus Schul- und Studienzeiten mit den Mitgliedern des Kreisauer Kreises gut vernetzt. Bei ihren Treffen am See nächtigte die Widerstandsgruppe gegen die Nazis im Logierhaus, Borsigs Thema in Gesprächen war die zukünftige liberale Agrarpolitik. 1937 besetzte er die Patronatspfarrstelle in Groß Behnitz mit einem Pfarrer der Bekennenden Kirche. 
Im April 1945 wird Ernst von Borsig von den Sowjets verhaftet. Im September stirbt er in sowjetischer Gefangenschaft in Landsberg an der Warthe. Seine Familie muss ins Logierhaus umziehen, im damals noch stehenden Schloß richtet sich die sowjetische Kommandantur ein. Borsigs werden enteignet und ihr Mobiliar, die Bibliothek, die Kunstgegenstände, alle beweglichen Güter verschwinden. Das Landgut der Borsigs wird eine LPG mit zusehends verfallenden Gebäuden.
Die Geschichte eines Jahrhunderts. Noch ist sie nicht zu Ende erzählt. Im Jahr 2000 kauft der Immobilieninvestor Michael Stober das Landgut und saniert es. Nach dem Umbau ist der ehemalige Stall ein Restaurant, ein Neubau und das Logierhaus ein Tagungshotel mit praktisch eingerichteten Zimmern und im ehemaligen Verwalterbau mit Turm ist das Zimmer des Standesamtes eingerichtet. Neue Veranstaltungsräume, ein Hofladen und ein kleines Museum sind entstanden.

Landgut Borsig - Landgut Stober. Von Lokomotiven zur Landwirtschaft.

4. Ein Spaziergang zum See

Wir gehen auf dem kleinen Pfad neben dem Logierhaus hinunter. Eine Wiese trennt Häuser und See, hohes Schilf schützt das Ufer. Im Verborgenen liegt ein umgekipptes altes Boot, Blesshühner piepen aufgeregt. Wir stellen uns vor, was wohl die Damen in italienischen gelben Strohhüten einst sahen, wenn sie den See im Rücken zum Gut hinaufblickten. Das Herrenhaus in Weiß, mit Balustrade, Vasen, Fries.  Rechts oben das Reitpferde-und Kutscherhaus, die Unterkunft für den Rittmeister.  Links die Pergola und das Logierhaus für die Gäste, die kleine Kopie des Herrenhauses.  Noch weiter links der Kornspeicher und die Brennerei. Daneben der ehemaligen Kälberstall und das Geflügelhaus. Heute ist dort das Restaurant mit seiner bildschön gelegenen Seeblick- Terrasse eingerichtet. Fehlt nur der kleine weiße Pavillon.
Auf der Wiese stehen uralte Bäume, wir schauen gen Himmel in ein grüngelbes Herbsblätterdach der sagenhaften Riesen. Borsigs waren nicht nur Vorreiter der industriellen Landwirtschaft sondern, wie die schon die Itzenplitzs, kenntnisreiche Hobbydendrologen. Seltene, wertvolle Bäume stehen zwischen den Kiefern, Roteichen und der einen Landguteiche. Ein paar Schritte weiter liegen merkwürdige Früchte am Boden, ihre Schale erinnert an Walnüsse. Mit kräftigem Drauftreten versuchen wir, sie zu knacken. Vergeblich. Der Hickory-Baum ist ein Walnussgewächs, wohl aus Nordamerika. 
Weiter vorne am Ufer steht die weitarmige Platane. Verträumt und ehrfürchtig schaue ich in die weißgrünen Äste. Alexander von Humboldt hat sie von einer Forschungsreise mitgebracht und August Borsig, Alberts Vater, geschenkt. So wird erzählt. 250 Jahre hat sie sicher im Geäst.

Auf dem See ziehen die Schwäne durch die grünen Wasserlinsen, ein Steg reicht weit hinaus ins Teichrosenmeer. Ein Spaziergang am Ufer lässt Ruhe atmen. Die Sumpflöcher der Betzseerinne sind Refugien für Biber und Reiher. Enten schnattern. Mit gutem Schuhwerk ist der See in einer guten Stunde noch vor dem Tee umrundet. Nur hätte sich der taftbespannte Sonnenschirm im Baumgeäst verfangen.

Landgut Borsig - Landgut Stober. Von Lokomotiven zur Landwirtschaft.
Kurz vor Sonnenuntergang am Groß Behnitzer See

Das waren, ganz ohne Sonnenschirm, die Reisefrequenzen. Heute unterwegs zum Landgut der Borsigs/Landgut Stober nach Groß Behnitz. Nah ist’s auch schön.

Tipps für Euch zum Landgut Borsig/Stober:
Wo: Groß Behnitz
Was: Landgut Stober, ehemals Landgut Borsig.
Gebäudeensemble mit Museum, Restaurant, Hotel, Tagungsräumen und einem Hofladen.
Natur: Alte interessante Bäume und eine Seewanderung (mit gutem Schuhwerk)
Food: Auf der Seeterrasse, gehobene Preise über dem Groß Behnitzer See. Oder im Restaurant.
Inspiration: Ernst-Friedrich Harmsen. „Ernst von Borsig. Märkischer Gutsherr und Gegner des Nationalsozialismus.“ Berlin, 2015.
Im April 2021 ist das Landgut Stober mit dem European Green Award ausgezeichnet worden, seit 2018 arbeitet das Hotel klimapositiv. Es bleibt bei erfolgreicher Innovation auf dem Lande.
Am 16.01.2022 nutzte der neue Berliner Senat zur Klausurtagung auf Landpartie das Hotel Landgut Stober am See.
♥️ Unser Lieblingsplatz: Unter der Humboldtschen Platane. Die Lokomotive.

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2 Gedanken zu „Landgut Borsig – Landgut Stober. Von Lokomotiven zur Landwirtschaft.“

  1. In einer mir bisher verschwiegenen Havelland-Gegend taucht durch die Reisefrequenzen ein verwunschenes und geschichtsträchtiges Fleckchen Erde auf. Die Mischung aus Naturschönheit, Tierwelt und dahinein verwobene mannigfaltige Architektur entfaltet einen ganz besonderen Reiz. Die Geschichte der gestaltenden Familien, ihr Wirken, wird lebendig erzählt. Ich verspüre Lust, einmal dorthin zu reisen.
    Wie schön, dass ich heute durch die Fotographien im Geist dort sein kann! Herzlichen Dank für diese Reisefrequenz!

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